Das versteckte Mahnmal in Trujillo

Eine Tafel mit Fotos der Ermordeten erinnert an die Straftaten des Mititärs;

Mit den Kandidaten für die Kommunal– und Bürgermeisterwahl fahre ich am frühen Morgen des 25. Juli in einen Bergort Namens Trujillo. Die Kandidaten müssen sich dort im DAS einschreiben. DAS ist der Geheimdienst Kolumbiens – gerade unter Beschuss, weil immer mehr Fälle der direkten Zusammenarbeit zwischen dem DAS und den Paramilitärs öffentlich gemacht werden. Der letzte Leiter des DAS musste vor kurzem deswegen abdanken. Zumindestens für mich mutet es schon etwas seltsam an, dass sich Kandidaten und Kandidatinnen ausgerechnet im Geheimdienst  einschreiben müssen.
Als wir um 5:30 nach  Trujllo kommen ist es noch vollkommen dunkel und langsam beginnt der Ort zu erwachen. In Trujillo und den Weilern ringsum wohnen za. 20 000 Menschen.
Während die Kandidaten in der Schlange stehen, mache ich einen kleinen Rundgang im Ort. Nichts scheint mehr an die Massaker von 1988 – 1990 zu erinnern.
 
In den drei Jahren wurden hier beinahe 350 Menschen ermordet und verschleppt. Von etlichen weiß man immer noch nicht, was mit ihnen geschehen ist. Sie gelten als Desaparecidos -  Verschleppte, und leider kann man nicht mehr damit rechnen, dass sie noch leben. Ihre Leichname wurden von den Paramilitärs und den Regierungstruppen verscharrt -  wenn noch etwas von ihnen übrig blieb nach der Folter und der Verstümmelung.
Der Ortspfarrer Rujillo wurde von den Militärs verschleppt, gefoltert und sein verstümmelter, enthaupteter Leib wurden im Caucafluss gefunden.
 
Wir suchen das Mahnmal, das an diese Zeit erinnert. Es liegt auf einem kleinen Hügel.
Wir müssen uns durchfragen: kein Hinweisschild führt zu dem Mahnmal.
Mich schaudert, als wir dort ankommen: eine endlos scheinende Reihe von Namenstafeln erinnerern an die Massaker. Ganze Familien, Kleinkinder und alte Menschen wurden ermordert.
Als wir zu einer kleinen Kapelle kommen, treffen wir auf eine Bilderwand, auf der Aufnahmen der Opfer an die Gräuel erinnern.
Doña Elena erzählt uns wie ihre beiden Kinder verschleppt wurden und nie mehr auftauchten.
Militärs und Paramilitärs richteten Folterzentren ein, wo die Verschleppten fürchterlichster Grausamkeiten ausgesetzt wurden. In einigen hielten sie sogar Krokodile und Löwen, die von den Gefolterten nichts mehr übrig ließen.
 
Der Ortspfarrer Trujillo wurde Ziel der Gewalt, weil er die Verschleppungen und Ermordungen, die im Zentralpark, direkt vor seiner Kirche geschahen, nicht verschwieg und sich auf die Seite der Verfolgten stellte. Auf dem Weg zu einer Beerdigung wurde er verschleppt und bestialisch zugerichtet.
 
Rujillo wurde zum Ziel der Gewalt, weil das Drogenkartell vom Nördlichen Caucatal mit Hilfe der von ihnen bezahlten und ausgerüsteten Paramilitärs, deren Vorgänger die sogenannten Selbstverteidigungskomitees sind, die Bauern von ihrem Grund und Boden vertreiben wollten. Der Boden ist sehr fruchtbar und der Kaffee, der dort angebaut werden kann, hat eine hohe Qualität.
Die Paramilitärs, bzw. die Selbstverteidigungskomitees sind Privatarmeen, die eine unrühmliche Tradition in Kolumbien haben: die beiden traditionelle Parteien, die liberalen und die konservativen bauten schon vor vielen Jahrzehnten Privatarmeen auf, um ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Die Großgrundbesitzer taten dasselbe und so wurde die Gesellschaft immer mehr militarisiert. Mit diesen Armeen war es möglich, die eigenen Interessen ungebrochen durchzusetzen. Wer im Weg stand, wurde aus dem Weg geräumt.
Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen Paramilitärs und den regulären Streitkräften – das weiß jeder in Kolumbien und daran ändert sich nichts, auch wenn zum wiederholten Male enge Kontakte des Generalstabs zu den Paramilitärs aufgedeckt werden. Der General muss gehen und der nächste rückt nach – der genauso verstrickt ist.
Die Menschen in Trujillo wurden zur Zielscheibe der Gewalt, weil das Drogenkartell ihr Land wollte.
Der andere Punkt ist, dass die Menschen ermordet wurden, weil in ihrer Region die ELN immer stärker wurde. Die ELN ist einer der aufständischen Kräfte in Kolumbien. Die ELN und die FARC sind die beiden Guerilla - Gruppen, die es in Kolumbien noch gibt.
Regierung und Militär betreiben eine zynische und menschenverachtende Politik: Kann man schon die Guerilla nicht besiegen, dann werden die Menschen, die in den Gebieten wohnen, wo die Guerilla aktiv wird, verfolgt. Um den Terror gegen die Zivilbevölkerung zu sähen ist jedes Mittel recht.
Jetzt nach über 15 Jahren sind die Fälle noch nicht aufgearbeitet – oder aber es gab Gerichtsverfahren, die mit der Verurteilung von den Verantwortlichen endeten, die aber nie umgesetzt wurden. Die Schuldigen sind weiterhin frei.
 
Immer wieder kommt man in dem Gespräch mit den Menschen, denen ich begegne auf die Frage, wie man eine solche Grausamkeit und eine solche Gewalt verstehen kann. Letztendlich fehlt einem die Begrifflichkeit und das Vorstellungsvermögen, was in Menschen vorgeht, die für die Folter und die Ermordungen verantwortlich sind.
Vielleicht kommt die kolumbianische Gesellschaft weiter, wenn Wahrheitskommissionen tatsächlich die Gewalt aufarbeiten, so wie es in Südafrika geschehen ist und in anderen Ländern Lateinamerikas.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg – mächtige Interessen stellen sich einer wirklichen Aufarbeitung entgegen. Gerade der derzeitig amtierende Präsident Uribe versucht immer neue Gesetze einzubringen, die die Paramilitärs legalisieren und den Schleier des Vergessens und Verschweigens über die Gewalt werfen.
 
Wir fahren nach Bugalagrande zurück. Warum gibt es keinen Hinweis auf das Mahnmal im Ort? „Weil wir Meister im Vergessen sind“, antwortet einer der Mitfahrenden.
 
Ralf Häußler