Todesschwadronen vertreiben Kleinbauern für die Produktion von Agrodiesel und "Bio-Produkten"

Las Pavas. Wenn die Sonne aufgeht über dem Magdalena-Fluss im Norden von Kolumbien löst innerhalb kürzester Zeit eine Explosion von Farben und Geräuschen die sternenklare Nacht ab. Der träge dahinfließende, braune Fluss, die sattgrüne, üppige Vegetation, das polyphone Konzert der unzähligen Vogelarten und die betörenden Düfte tropischer Blüten und Früchte benebeln die Sinne.


Ein Paradies, so muss es der Großvater von Roberto Rivera* empfunden haben, als er in den 40er Jahren nach Las Pavas kam.


Auf dem fruchtbaren Schwemmland wuchs alles, was er für seine achtköpfige Familie brauchte: Yucca, Mais, Reis, Kakao, Bananen, Zuckerrohr. Doch das Paradies fand ein jähes Ende und eine Geschichte begann, mit der sich diese Woche das UN-Menschenrechtskomitee in Genf befasst und in der nicht nur Todesschwadrone, skrupellose kolumbianische Großgrundbesitzer und korrupte Funktionäre am Pranger stehen, sondern auch Weltkonzerne wie Bodyshop sowie deutsche Naturkostanbieter sich unbequeme Fragen gefallen lassen müssen.


Heute ist aus Las Pavas eine trostlose Einöde geworden, auf die gnadenlos die Sonne niederbrennt. Traurig steht Roberto Rivera vor einem halb verkohlten Baumstumpf. “Den hat mein Großvater gepflanzt”, murmelt er. Im Hintergrund walzt ein Bagger all das platt, was der Brandrodung widerstanden hat. Demnächst will eine Tochterfirma des kolumbianischen Agrokonzerns Daabon hier afrikanische Ölpalmen anpflanzen.


Palmöl von Daabon wird in Kosmetikprodukten von Body Shop ebenso verwendet wie in Bioprodukten von Allnatura, Rapunzel und Allos. Die eingeführte Palmenart hat sich rasant ausgebreitet in der fruchtbaren Ebene des Magdalena. Kilometerweit erstrecken sich entlang des Flusses und der Feldwege Plantagen. Die runden, rote Früchte sind ein lukratives Exportprodukt für investitionsstarke Konzerne, denn die Palme bringt frühestens nach drei Jahren Erträge.


Die kolumbianische Regierung hat außerdem das Öl als Biodiesel entdeckt und lockt mit günstigen Krediten und Steuererleichterungen. Bis 2012, so die Vorstellung von Präsident Alvaro Uribe, sollen alle Fahrzeuge Kolumbiens mit einem Gemisch aus Benzin und Biodiesel oder Ethanol fahren.


Ein verlockender Absatzmarkt für die fünf großen Palmölkonzerne des Landes. “In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anbaufläche von 134.000 auf 360.000 Hektar fast verdreifacht”, sagt Paula Alvarez von der Umweltorganisation “Semillas”, die von der Schweizer Hilfsorganisation Swissaid unterstützt wird.


Doch 80 Prozent der Ländereien in Kolumbien sind nicht ordnungsgemäß registriert – eine Situation die Tür und Tor öffnet für

Menschenrechtsverletzungen. Und nicht nur das: “Die Ausweitung der Anbauflächen für die Palmen geht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion und der Umwelt, denn wo früher Tropenwald mit seiner ganzen Artenvielfalt stand, werden heute Monokulturen angepflanzt”, gibt Alvarez zu bedenken.
Kolumbien ist heute der größte Palmölproduzent in Lateinamerika. Wenn es nach Uribe geht, sollen es bald zwei Millionen Hektar Anbaufläche werden. Das Land, so erklärte sein Agrarminister, müsse effizient bewirtschaftet werden. Die Regierung setzt auf Biotreibstoffe, Rinderzucht, Kaffee und Blumenanbau für den Export. Die kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft gilt als unproduktives Relikt.


Die Strategie geht so weit, dass sogar die Bürgerkriegsopfer, die im Rahmen des Wiedergutmachungsprozesses mit den demobilisierten Paramilitärs Entschädigungen erhalten, ihr Land mit der Auflage zurückerstattet bekommen, dort Palmölplantagen anzulegen.


Rivera und die anderen 120 Familien aus Las Pavas haben sich bei 40 Grad im Schatten auf Plastikstühlen unter einem grob gezimmerten Dach aus Palmenblättern versammelt.


Das ist ihr Versammlungsraum, umgeben von Zelten aus Plastikplanen – ihre Notunterkünfte nach der Vertreibung 2009. Nach und nach erzählen die Frauen und Männer ihre Geschichten vom friedlichen Widerstand gegen die Gewalt, von Rückschlägen, Hoffnungen und immer wieder von Vertreibungen. Die Landfrage steht seit Generationen im Zentrum des blutigen Bürgerkriegs in Kolumbien, in dessen Verlauf 4,3 Millionen Menschen oder jeder zehnte Kolumbianer vertrieben wurde – eine Zahl, die weltweit nur noch von Sudan übertroffen wird.


Nach Schätzungen der Bauerngewerkschaft Fensuagro eigneten sich Drogenhändler und Großgrundbesitzer mit Hilfe der Todesschwadronen mehr als zwölf Millionen Hektar Land an. 15.000 Familien kontrollieren demnach die 49 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.
In Las Pavas wurden in den 60er Jahren die Großväter der heutigen Generation von Todesschwadronen der Rinderbarone verjagt. Sie ließen sich ein paar Kilometer weiter am Flussufer nieder und gründeten das Dorf Buenos Aires. Die Eltern wuchsen als Tagelöhner auf, schlugen sich als Bäcker und Fischer durch. In den 80er Jahren verkauften die Rinderbarone ihr Land an den Drogenboss Pablo Escobar, das jedoch nach dem Niedergang des Medellin-Kartells verwahrloste.


1997 vereinnahmten Rivera und 200 andere landlose Enkel die Hacienda und bebauten 3000 Hektar wie einst ihre Großväter in traditioneller Art: sie bewirtschafteten kleine Parzellen umgeben von Waldstücken und Sümpfen, respektierten Fruchtwechsel und Brachezeiten, um den Boden nicht auszulaugen. Mit der Zeit entstand eine kleine Siedlung aus Holzhäusern, einer Schule, einem Versammlungsraum.


Es war die schlimmste Phase des Bürgerkriegs. Rivera erzählt von Leichenteilen, die ans Flussufer trieben, nächtlichen Razzien, in denen die Bewaffneten die Dorfbewohner einschüchterten, Schweine und Esel mitnahmen und vermeintliche Kollaborateure der Gegenseite erschossen. Doch es sollte noch schlimmer kommen.


“Im Juni 2003 trieb uns seine Gruppe Paramilitärs in den Versammlungsraum und sagte uns, das Land gehöre uns nicht, und wer nicht verschwinde spiele mit seinem Leben”, erzählt der Dorfälteste. Einige gaben erschrocken ihr Land auf, doch die meisten widerstanden und versuchten es auf dem Rechtsweg.
Ein damals erlassenes Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäsche besagt, dass unproduktives Land im Besitz von Drogenbossen an diejenigen überschrieben wird, die es beantragen und mindestens drei Jahre regelmäßige Bewirtschaftung nachweisen können. So hofften die Familien, endlich rechtmäßig zu einem Landtitel zu kommen. Doch ihr Anliegen ging nicht voran, Papiere verschwanden, ein entsprechender Grundbuchvermerk wurde unterlassen.


Daabon erwarb das Land von einem Verwandten Escobars, angeblich rechtmäßig und in gutem Glauben, wie der Anwalt des Unternehmens geltendend macht. Im Juli 2009 erwirkte er einen Räumungsbefehl. “Sie kamen um zehn Uhr früh mit 200 Soldaten, Baggern und Planierraupen”, erzählt Sonia Garcia. “Innerhalb kürzester Zeit machten sie alles platt, wir durften nicht mal unsere Kleider und Möbel mitnehmen; unsere gesamte Ernte wurde vernichtet”, sagt die 33jährige Mutter mit belegter Stimme. In wenigen Stunden war die Existenzgrundlage der Familien vernichtet. Sie hätten wie Hunderttausende andere Binnenflüchtlinge in die Elendsgürtel der Städte gehen können.
Doch sie blieben, obwohl die Sicherheitskräfte immer wieder drohend vor ihrem improvisierten Zeltlager aufmarschierten. Unterstützt von internationalen Hilfsorganisationen versuchen sie sich seither, wie einst ihre vertriebenen Großeltern, in Buenos Aires über Wasser zu halten in der Hoffnung, dass ihnen irgendwann Gerechtigkeit widerfährt.


Body Shop und die anderen Unternehmen überprüfen nach eigenen Angaben derzeit den Fall und ihre Geschäftsbeziehungen zu Daabon. Pfarrer Osvaldo Diaz hofft auf ein klares Zeichen. “Las Pavas ist ein beispielhafter Fall von Korruption, Raub und Menschen-rechtsverletzungen. Wenn die Kleinbauern gewinnen, wäre das ein großer Gewinn für ganz Kolumbien.”


*Namen auf Wunsch der Betroffenen geändert
Text: Sandra Weiss